Kooperationen für die digitale Transformation

Die Hochschule der Zukunft soll ein Ort werden, an dem (Frei-)Raum für neue Impulse geschaffen und digitale Utopien radikal weitergedacht werden. Dafür braucht es interuniversitäre Kooperationen – auf nationaler wie auch auf europäischer Ebene! Die Vizerektor*innen für Digitalisierung der Uni Wien, Uni Graz und TU Graz diskutieren ein Jahr nach Projektstart des „digital university hub“, kurz DUH, ihre Gedanken zu kommenden Herausforderungen an Hochschulen sowie die zukünftige Rolle des DUH und ziehen Bilanz.

Die digitale Transformation ist in aller Munde und hat auch Österreichs Hochschulen schon lange erreicht: Die Universitäten sind zu hybriden Orten geworden, die jetzt die Chance haben, die in den letzten Jahren entwickelten Arbeitsabläufe und digitalen Formate auszuprobieren sowie dort zu etablieren, wo sie gebraucht werden. Der Umgang mit digitalen Tools ist „sorgenfreier“ geworden. Studierende, Lehrende und Administrationspersonal haben während der Coronapandemie nicht nur digitale Kompetenzen aufgebaut, sondern auch ein reges Interesse an den Themen der Digitalisierung entwickelt, betont Vizerektorin Claudia von der Linden von der TU Graz.

Dies sei im DUH Projekt gut beobachtbar: Über diverse Veranstaltungsformate, wie einen Fachaustausch zum digitalen Personalrecruiting, hat sich ein hochschulübergreifendes Netzwerk gebildet, das mittlerweile mehr als 90 Personen aus 18 Universitäten zählt. „Mit dem DUH ist es gelungen, gemeinsam mit den verschiedenen Universitäten unterschiedliche Themen der digitalen Transformation zu diskutieren und voranzubringen“, unterstreicht Vizerektor Ronald Maier von der Uni Wien.

Coopetition statt Insellösungen

"Wir müssen die Zusammenarbeit zwischen den Universitäten natürlich weiterhin fortsetzen", ist Maier überzeugt. Besonders in den Bereichen der Forschung und der Lehre sei man hier mit den bestehenden Kooperationen bereits auf einem sehr guten Weg.  „Die Zukunft der Universitäten ist von Spannungsverhältnissen gekennzeichnet“, betonte Petra Schaper Rinkel, die bis September 2022 als Vizerektorin der Uni Graz den DUH begleitete, in diesem Zusammenhang und verweist dabei mitunter auch auf die ambivalente Beziehung zwischen Konkurrenz und Kooperation zwischen den Hochschulen.

Vier illustrierte Hände verbinden sich durch ein Seil
c iStock Anton Vierietin

Von der Linden bezeichnete dieses Spannungsverhältnis zu Beginn des Projektes DUH mit dem Wort „Coopetition“ - einer Symbiose der englischen Wörter cooperation and competition. Gerade bei der Entwicklung von digitalen Lösungen wie digitaler Infrastrukturen und digitaler Services ist kollaboratives Handeln entscheidend. Um Insellösungen zu vermeiden, gelte es, intensive und nachhaltige Kollaborationen nicht nur zwischen österreichischen Universitäten, sondern auch in Zusammenarbeit mit europäischen Partneruniversitäten stärker zu fördern, so Schaper Rinkel. Auf nationaler Ebene legen die Projekte, die aus der Digitalisierungsausschreibung 2019 des BMBWF entstanden sind sowie die kürzlich abgeschlossene Ausschreibung zur digitalen Forschungsinfrastruktur den Grundstein für vermehrte Kooperation und Wissenstransfer.

Shared Services für Österreichs Hochschulen

Wichtig ist vor allem die Entwicklung der sogenannten Shared Services, betont von der Linden. Mit der Weiterentwicklung von IT- Anwendungen, die Open Source, also öffentlich zugänglich sind, könne eine Art österreichisches IT-Baukasten-System geschaffen werden. Alle interessierten Hochschulen hätten damit beispielsweise freien Zugang zu hochschulspezifischen Lösungen für Prozesse in der Verwaltung und Administration. Zur (Weiter-)Entwicklung solcher Systeme und Services bedarf es eines interuniversitären Austauschs und Raums für gemeinsame Innovation. Mit der Entwicklungsstraße des digital university hub wurde so ein Raum geschaffen. Gleichzeitig bringt die Plattform seit einem Jahr relevante Akteur*innen aus den Bereichen Forschung, Lehre, Administration und Third Mission an einen Tisch, um gemeinsam über aktuelle Themen der sozialen und digitalen Transformation an Österreichs Universitäten zu sprechen. Es geht darum, Querschnittsthemen zu identifizieren, die alle beschäftigen und die zukünftig nur gemeinsam zu lösen sind. Die Beteiligung an den DUH Arbeitsgruppen zeige, dass Menschen gerne mitgestalten, wenn sie Freiräume zur Entfaltung und zum Austausch erhalten, so Vizerektor Maier. Er glaubt, dass der digital university hub hier seine Möglichkeiten als Informations- und Vernetzungsplattform auch künftig ideal ausspielen könne.

Radikale Innovationen ermöglichen

Entwicklungen, wie Cloud- Infrastrukturen und digitale Plattformen werden derzeit zu einem Großteil von nur wenigen globalen Unternehmen angeboten, was die Universitäten dementsprechend einschränkt, wenn es um radikale Innovationen geht, betont Schaper Rinkel. Sie sieht die Universitäten hier in der Verantwortung, zu Orten für offene, öffentliche, digitale Innovationsökosysteme zu werden, die radikale Innovationen nicht beschränken, sondern experimentell und gestalterisch ermöglichen. Kollaborative Initiativen wie der digital university hub seien auf nationaler Ebene gut geeignet, um solche übergreifenden, offenen digitalen Infrastrukturen und Innovationssysteme weiterzuentwickeln.

Eine Illustration einer Person am Esstisch und einer Hand die eine Glühbirne unter der Speiseglocke offenbart.
c iStock Anton Vierietin

Schaper Rinkel hebt weiters hervor, dass es zukünftig besonders darum gehen werde, das erwähnte Spannungsverhältnis produktiv zu nutzen. Forschung benötigt Freiheit und Unabhängigkeit. Widersprüchliche  Anforderungen, wie zum Beispiel Ergebnisse der Forschung über Patente und Start-Ups kommerziell zu verwerten, aber zugleich Forschungsergebnisse frei einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, sollen künftig durch Abstimmung und gemeinsame Aktivitäten der Universitäten bearbeitet werden. Zu letzterem gehöre seit einem Jahr auch der digital university hub.

Change Management an Hochschulen

Im Zuge der vielen Veränderungen an Hochschulen wird auch Change Management eine immer wichtigere Rolle spielen. Wie lassen sich die (digitalen) Veränderungen auch nachhaltig und zukunftsträchtig etablieren? Und wie schaffen digitale Projekte den Sprung über die Projektphase hinaus?

Vizerektorin für Digitalisierung und Change Management der TU Graz Claudia von der Linden sieht hier einen klaren Bedarf an Methoden und Tools aus dem Veränderungsmanagement. Die Umsetzung von umfangreichen digitalen Projekten bedürfe auch einer entsprechenden Begleitung. Damit Digitalisierung nicht zum Selbstzweck wird, bedürfe es eines achtsamen digitalen Change Managements, das den Menschen als Endnutzer*in in das Zentrum der Veränderungsprozesse stellt. Auch hier hat der DUH bereits erste Pionierarbeit geleistet. So finden sich auf der Plattform vier Concept Paper, die als eine Art Handbuch für die Begleitung von Veränderungen an Hochschulen gelesen werden können. Ein entsprechender Werkzeugkoffer mit Methoden, die sich im Hochschulkontext gut anwenden lassen, wurde ebenfalls im letzten Jahr entwickelt und heuer auf der Plattform veröffentlicht.

Die Hochschule der Zukunft

Den Menschen ins Zentrum des Geschehens zu setzen und die Gesellschaft an Wissensprozessen aktiv zu beteiligen – das sei essenziell für einen gelungenen Wissensaustausch und -transfer, erklärt Maier. Die Universitäten leisten wesentliche Beiträge zur Förderung eines kritischen aber gleichzeitig konstruktiven gesellschaftlichen Diskurses. Dies geschehe, indem sie als Wissensproduzent*innen und -vermittler*innen, die sich aus der Digitalisierung ergebenden Forschungsfragen stellen, aufgreifen und passende Antworten finden. Um diesen Auftrag weiterhin zu erfüllen, müsse die Hochschule der Zukunft als Ort gedacht werden, an dem die Möglichkeiten der Zukunft radikal weitergedacht werden, betont Schaper Rinkel. 

Ein Mensch auf einer Glühbirne blickt durch ein Fernrohr
c iStock Anton Vierietin

Nicht das Naheliegende, was schon in wenigen Jahren realisiert werden könne, sondern eben genau die Möglichkeiten, die heute noch unwahrscheinlich erscheinen, gelte es zu entdecken. Alle drei sind sich einig: Die Hochschule der Zukunft hat das Potenzial, die Möglichkeiten der Digitalisierung mit Freude wahrzunehmen, ihre Grenzen auszuloten und gemeinsam für ihre menschenzentrierte Gestaltung einzutreten.