Eine kleine Geschichte der Künstlichen Intelligenz

Wir erinnern an Georg Büchners 'Woyzeck', Szene 8, und rezitieren: "Aber Herr Doktor, wenn einem die Natur kommt." Kopfschüttelnd erklärt der Herr Doktor Woyzeck, dass der Mensch nicht der Natur unterworfen ist, die Individualität sich zur Freiheit verklärt und er sowieso nachgewiesen habe, dass der Musculus constrictor vesicae dem Willen des Menschen unterworfen ist. Warum gerade an dieser Stelle Woyzeck zitieren? Nun, wenn der Versuch gestartet werden soll zu erklären, worum es denn ganz konkret geht im Sprechen von 'Künstlicher Intelligenz', dann lassen Sie uns doch damit beginnen, festzustellen, um was es sich hier eindeutig nicht handelt. Nur dem Menschen kann die Natur kommen; die Natur der KI besteht, wie der Name bereits impliziert, im künstlichen Erschaffen seiner selbst sowie dem Erschaffen allem, was der freie Wille des Menschen ihm gebietet. KI ist, wenn man so will, vorerst dem Menschen unterworfen und bezeichnet die Fähigkeit von Maschinen, Aufgaben zu erledigen, die normalerweise menschliche Intelligenz erfordern würden. Dazu gehören Lernen, Problemlösung, Spracherkennung und sogar emotionale Intelligenz.

Nichtsdestotrotz wollen wir der KI ihren natürlichen Ursprung nicht absprechen. Dieser ist in die 1950er Jahre zu datieren, als Wissenschaftler (ja, tatsächlich finden sich hier nur männliche Vornamen, darunter auch John McCarthy, Gerüchten zufolge der Namensgeber der künstlichen Intelligenz) begannen, Computer so zu programmieren, dass sie menschenähnliche Denkprozesse nachahmen können. Ausgehend von der Entdeckung eines lernfähigen künstlichen Neurons, dem Perzeptron, konnte nun ein künstlich neuronales Netz (ähnlich dem des Gehirns; oder für die Mathematiker*innen: x1w1 + x2w2 + ... + xn*wn) geschaffen werden, das den Grundstein für die Verfahren des maschinellen Lernens legte.

Möglicherweise springt der ein oder andere von Ihnen nun zurück und denkt sich: Halt, stopp, 1950er Jahre, was hat hier denn so lange gedauert? Antwort: Die geeigneten Lernverfahren. Warum? Weil die Computer zu dieser Zeit noch nicht über genügend Rechenleistung verfügten, um komplexe Aufgaben zu lösen.

Rund 30 Jahre und unzählige eingestellte Forschungsprojekte später waren die Computer technologisch besser aufgestellt, und das neuronale Netz wurde wieder aus seinem künstlichen Koma erweckt. Erstmals näher im öffentlichen Licht stand die KI im Jahre 1997, als der IBM-Computer Deep Blue den damals amtierenden russischen Schachweltmeister Garry Kimowitsch Kasparov besiegte. Mit leistungsfähigen Computern und der Verfügbarkeit von Daten, die exponentiell durch die Schaffung des World Wide Web wuchsen, konnte die KI endlich in die vollen Züge ihres Potenzials greifen und steht heute, im Jahr 2024, mehr im Leben als es jemals eine Figur in Büchners Dramen getan hat.

c copilot microsoft, KI generated image

"Unter künstliche Intelligenz verstehen wir Technologien, die menschliche Fähigkeiten im Sehen, Hören, Analysieren, Entscheiden und Handeln ergänzen und stärken", 

definiert die Microsoft Corporation KI als eine Art künstliche Erweiterung des Menschen und dessen, was ihn ausmacht. Sie kann, wie weiter oben bereits erwähnt, was der Mensch kann: Erkennen, Interpretieren, Analysieren und Bearbeiten von Mustern, Bildern, Sprache und Daten. Einzig wird die friedliche Koexistenz von Mensch und Maschine dadurch gestört, dass Zweitere sich mit solch einer Geschwindigkeit den Weg freiräumt, dass weder Legislative noch Judikative hinterherkommen.

[Kurzer Exkurs aus der kleinen Geschichte des Streamings, das in den frühen bis späten 90er Jahren in die Privathaushalte einmarschierte und dort losgelöst von jeglicher Kontrolle und jenseits von Copyrights und Intellectual Property Rights seine Verbreitung fand. Nach diesem 'Sin City'-artigen Zustand scheint die Situation heutzutage angesichts der Existenz von Streaming-Providern wie Netflix, Spotify & Konsorten sowie einer Selbstverständlichkeit der Nutzer*innen für diesen Service zu zahlen, ein digitales, sicheres und legales Ökosystem gefunden zu haben.]

Es stellen sich also Fragen der Kontrolle. Und wo diese auftauchen, tauchen auch Fragen zur Sicherheit auf. Als digitale Erweiterung (wer wagt, benutzt an dieser Stelle 'Verbesserung') des Menschen scheint es nur allzu logisch, dass die KI, ähnlich wie wir, irgendwann erste Herrschaftsansprüche stellt. Und das ist in keinster Weise apokalyptisch gemeint, es sei denn, Propheten hätten errechnet, dass dies am 13.11.2031 eintreten wird – übrigens das Datum, das Google auf die Frage 'Wann übernimmt KI die Welt?' ausspuckt. So wirkt die tragische Figur Woyzeck mit seiner unkontrollierbaren Natur wie ein Antidot zum neuronalen Netz einer autonomen, datengefütterten, künstlichen Intelligenz.  

Und was bleibt, ist die sich bis zur Unkenntlichkeit erstreckende Kluft zwischen dem, was einem natürlich und dem, was einem künstlich erscheint. Stichwort: Sora.

Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden.

 

Hier nochmal die wichtigsten Eckdaten der KI- Reise

1951 – Der britische Informatiker Alan Turnin formuliert den „Turning Test”  - ein erster Ansatz, um festzustellen, ob ein Computer ein den Menschen gleichwertiges Denkvermögen besitzen kann

1956 – Der Begriff „Künstliche Intelligenz“ wird erstmalig bei einer Konferenz in Dartmouth erwähnt.

1966 – Joseph Weizenbaum entwickelt den ersten Chatbot „ELIZA“

1997 – Der IBM-Computer Deep Blue schläft russischen Schachweltmeister Garry Kasparov

2011 – Apple präsentiert die Sprachassistentin „Siri“

2022 – Das amerikanische Unternehmen OPenAI veröffentlicht den Chatbot ChatGPT

 

Lina Michel, 22.02.2024