Der Ruf nach ethischem Handeln

Effektiver Altruismus in der digitalen Ära

Inmitten der rasanten Veränderungen angetrieben durch die technologische Revolution bleibt eine wichtige Frage oft unberührt: Wie können wir ethisch handeln, um eine nachhaltige und sinnvolle Zukunft für alle zu gestalten? Diese Frage wird immer dringlicher, insbesondere angesichts der Auswirkungen digitaler Innovationen wie künstlicher Intelligenz (KI). In dieser Diskussion erhebt die Bewegung des Effektiven Altruismus (EA) ihre Stimme. Trotz ihrer bescheidenen Erscheinung findet sie bedeutende Resonanz in den heutigen Debatten über digitale Technologie und Ethik. Sie ist nicht nur ein Gedankenexperiment zur Gestaltung der Zukunft, sondern ein zielgerichteter Versuch, ethische Bestrebungen mit berechenbaren Faktoren zu kombinieren und daraus Lösungsansätze für unsere drängendsten globalen Probleme zu finden. 

Antique dotprinted photo of painting: Man portrait with three puppies
c iStock, ilbusca

Die Idee des effektiven Altruismus (EA) entstand an der Universität Oxford, während eines Treffes von William MacAskill und Toby Ord im Jahr 2009. MacAskill, damals Philosophiestudent, und Ord, ein Junior-Forschungsmitarbeiter, diskutierten darüber, wie man moralische Prinzipien in die Praxis umsetzen könne, um anderen bestmöglich zu helfen. Sie beschlossen, eine Non-Profit-Organisation namens Giving What We Can zu gründen, die Menschen dazu ermutigte, mindestens 10 % ihres Einkommens für wohltätige Zwecke zu spenden. Diese Initiative war der Ausgangspunkt für die Entwicklung des effektiven Altruismus, einer Bewegung, in dessen Zentrum die Frage steht: Wie können wir am effektivsten Gutes tun? Dieser Frage untergeordnet besteht die Herausforderung einer Entscheidungsfindung: Welche der Probleme, mit denen die Welt konfrontiert ist, sollten wir zuerst angehen? EA zielt also darauf ab, Ressourcen effektiv einzusetzen, sei es durch Spenden an Organisationen mit hoher Wirkung oder durch die Förderung nachhaltiger Technologien wie KI. Prominente Unterstützer*innen wie Elon Musk und Peter Thiel sehen im EA eine moralische Verpflichtung, die Welt zum Besseren zu verändern.

Die Vision des Effektiven Altruismus ist also durchaus eine Edle und sie findet konkreten Ausdruck in der Betonung des Langfristismus, einer Bewegung innerhalb des EA, die sich darauf konzentriert, existenzielle Risiken wie fortgeschrittene KI und Bio-Hacking zu minimieren. Beispiele hierfür sind das Future of Humanity Institute in Oxford sowie das Cambridge Centre for the Study of Existential Risk. Beide Institute haben sich der Aufgabe verschrieben, sich intensiv mit der Erforschung und Bewältigung der Risiken zu befassen, die die Existenz der Menschheit bedrohen könnten, darunter auch die Folgen fortschrittlicher Technologien wie KI. Weiters demonstrieren Projekte wie das Center for the Governance of AI an der Universität Oxford konkretes Engagement, um Richtlinien und Governance-Strukturen für den verantwortungsvollen Einsatz von KI zu entwickeln.  

Zwischen Elitenförderung und Moralischer Integrität

Hier wird deutlich, was die Bewegung so einzigartig macht: Effektiver Altruismus wird maßgeblich von Hochschulen und Forschungsinstituten getragen und ist stark in ihnen verwurzelt. Es ist also auf der einen Seite durchaus angemessen, nicht nur von einer idealistischen Bewegung zu sprechen, sondern von einer, die sich aktiv um wissenschaftliche Fundierung und evidenzbasierte Praktiken bemüht. Auf der anderen Seite führt diese Verankerung dazu, dass die Bewegung für eine breite Bevölkerungsgruppe nicht sehr anschlussfähig ist. Nicht nur das scheint für die Bewegung problematisch zu sein. So bemängeln kritische Stimmen überdies, dass die Bewegung sich zu stark auf spekulative Forschungsbereiche konzentriere und dabei ihre ursprünglichen Anliegen wie die Bekämpfung des Klimawandels und die Verbesserung der Gesundheitsversorgung in armen Ländern vernachlässige. Diese kritischen Diskussionen fordern eine Neuausrichtung der Prioritäten, um sicherzustellen, dass der EA seinen Einfluss maximal zum Wohle der Welt einsetzt.

Andere kritische Stimmen betreffen die moralische Integrität der Bewegung. So wird argumentiert, dass EA durch seine Verflechtung mit politischen und wirtschaftlichen Institutionen, die selbst zu den Ursachen sozialer Ungerechtigkeit beitragen, moralisch korrupt wird. Diese Kritiker*innen behaupten, dass der Erfolg von EA weniger auf einer soliden ethischen Grundlage beruhe, sondern eher auf seiner Anpassung an bestehende Strukturen, die möglicherweise selbst Teil des Problems seien.

Zusätzlich werden EA-Mitglieder oft dafür kritisiert, ihre Ressourcen auf ungewöhnliche Ziele zu konzentrieren, die möglicherweise nicht den vorherrschenden karitativen Prioritäten entsprechen. Dies schafft Skepsis und interne Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Bewegung und wirft Fragen nach der Effektivität und Rechtfertigung solcher Entscheidungen auf. Des Weiteren wird die tatsächliche Effektivität von EA angezweifelt. Obwohl die Bewegung darauf abzielt, effiziente Lösungen für soziale Probleme zu finden, könnten ihre Betonung auf messbaren Ergebnissen und Ressourcenallokationen möglicherweise die tieferen Ursachen dieser Probleme vernachlässigen und lediglich oberflächliche Symptomlinderungen bewirken, ohne langfristige, nachhaltige Lösungen anzugehen. Die kann mitunter auch den Effekt haben, dass moralisch zweifelhafte Entscheidungen gerechtfertigt werden, wenn sie als Beitrag zur Maximierung des langfristigen Wertsangesehen werden. 

Schließlich wird EA von einigen als eine konservative Bewegung kritisiert, die sich stark auf die Finanzierung durch Milliardäre stützt und sie als Hauptakteure in der Bekämpfung globaler Armut darstellt. Diese Kritik wirft Fragen zur Legitimität der ultra-reichen Elite als Lösungsträger*innen für systemische Probleme auf und betont die potenzielle Verstärkung von extremen Vermögensungleichheiten durch solche Partnerschaften. 

So positiv die Begriffe effektivund Altruismus besetzt sind, so lässt sich auch feststellen, dass sie in Kombination fraglos mit Vorsicht zu genießen sind. Eine kritische Auseinandersetzung mit den Zielen und Methoden des Effektiven Altruismus scheint hier von entscheidender Bedeutung zu sein, um sicherzustellen, dass er seinem ethischen Anspruch gerecht wird und tatsächlich positive Veränderungen in der Welt bewirkt.

Zwischen Mephistopheles und Moral

Entsprechend den jüngsten Entwicklungen in der Technologielandschaft und den aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen, wie dem zunehmenden Einfluss von künstlicher Intelligenz auf unser tägliches Leben und den wachsenden Risiken existenzieller Bedrohungen wie Artensterben und Klimawandel, stehen wir als Gesellschaft an einem unausweichlichen Scheideweg.

In einem immer komplexer werdenden Diskurs über die ethischen Grundlagen und die Wirksamkeit des effektiven Altruismus erinnern wir uns an die Worte von Goethe's Faust: 'Nun gut, so bin ich eben ein Teil des Teils, der anfangs alles war'. Durch diese Reflexion auf Mephistopheles' rebellischen Gedanken im Prolog von 'Faust' wird deutlich, dass die Kritik am effektiven Altruismus tiefergehende Fragen nach den moralischen Konsequenzen und der Authentizität der altruistischen Bemühungen aufwirft. Ähnlich wie Mephistopheles' Rebellion gegen die göttliche Ordnung eine Reflexion über die Natur des Bösen und die menschliche Freiheit darstellt, können wir im effektiven Altruismus eine dringende Aufforderung lesen, die ethischen Implikationen unserer Handlungen zu überdenken und sicherzustellen, dass sie im Einklang mit unseren tiefsten moralischen Überzeugungen stehen und daraus Handlungsanweisungen für eine aktive Gestaltung unserer Zukunft ziehen. Solange dies noch möglich ist.

Lina Michel, 24.04.2024

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