Nach uns die Sintflut

Der ökologische Fußabdruck von digitalen Technologien

John Maynard Keynes bemerkte einst: „... sagen wir, bis zweitausend Jahre vor Christus: Bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts gab es keine großen Veränderungen im Lebensstandard des durchschnittlichen, in der zivilisierten Welt lebenden Menschen. Natürlich gab es ein Auf und Ab. Heimsuchungen durch Seuchen, Hungersnöte und Krieg. Goldene Zwischenzeiten. Aber keine fortschreitenden heftigen Veränderungen.“ Seiner Berechnung nach verdoppelte sich der Lebensstandard in den letzten vier Jahrtausenden kaum, da wir bereits über grundlegende Kenntnisse verfügten und technologische Innovationen nur langsam voranschritten. Die meiste Energie wurde durch menschliche und tierische Muskelkraft sowie durch Wind und Wasser erzeugt. Doch mit dem Aufkommen von Kohle, Gas und Öl im 18. und 19. Jahrhundert begann eine Ära des Wandels, die unsere Geschichte prägte.

Heute stehen wir an der Schwelle einer neuen Ära, geprägt von KI, Kryptowährungen und Rechenzentren, die erneut tiefgreifende Veränderungen in unserem Lebensstil verspricht. Ein zentrales Thema, das dabei immer drängender wird, ist der immense Energiebedarf und die damit verbundenen Nachhaltigkeitsprobleme. 

Die KI - Raupe Nimmersatt

Die Integration von KI in diverse Anwendungen wirft ernstzunehmende Fragen zur Energieeffizienz auf. Laut Alex de Vries von der VU Amsterdam School of Business and Economics würde allein die Verwendung von KI-basierten Suchmaschinen für tägliche Internetanfragen in der EU einen Strombedarf von 6,5 Terawattstunden pro Jahr verursachen, was dem jährlichen Verbrauch Dänemarks entspricht. Das Training großer Sprachmodelle wie GPT-3 in europäischen Rechenzentren verbraucht etwa 290 Megawattstunden Strom, genug, um 30 durchschnittliche EU-Haushalte ein Jahr lang zu versorgen. Prognosen warnen vor einem Anstieg des KI-bedingten Stromverbrauchs in Europa bis 2027 um 19 bis 30 Terawattstunden pro Jahr, was einem mittelgroßen Land wie Österreich oder Portugal entspricht. Weltweit könnte der KI-bedingte Stromverbrauch bis 2027 sogar auf 85 bis 134 Terawattstunden pro Jahr steigen.

Die aufstrebende Kryptowährungsindustrie in Europa belastet ebenfalls den Energieverbrauch, wobei die jährlichen CO2-Emissionen durch Krypto-Mining in der EU so hoch sein sollen wie die des gesamten Landes Belgien. Rechenzentren, als Rückgrat der digitalen Infrastruktur Europas, verbrauchen bereits 2-3 % des gesamten Stromverbrauchs des Kontinents. Mit dem zunehmenden Online-Verhalten von Unternehmen und Verbraucher*innen wird dieser Anteil weiter steigen, was einen erhöhten Bedarf an Kühlung und zusätzlichen Ressourcen wie Wasser mit sich bringt.

Diese Digitalisierungsprozesse stellen eine enorme Belastung für das Energiesystem dar und gefährden die Klimaziele des Kontinents. Politik, Wirtschaft und Wissenschaft stehen vor der Herausforderung, Nachhaltigkeit und Effizienz zu priorisieren, um eine grünere digitale Zukunft zu gestalten. Die Umstellung auf erneuerbare Energien, die Verbesserung der Kühlungssysteme und die Neugestaltung der Rechenarchitekturen sind entscheidend, um die ehrgeizigen Ziele zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen und zur Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien in Europa zu erreichen.

Die Rolle der Universitäten

Forschende und Universitäten spielen eine entscheidende Rolle im Kampf um eine nachhaltige Digitalisierung. Sie arbeiten an energieeffizienten KI-Technologien, um den ökologischen Fußabdruck zu verringern

Robot and green Nature shaking Hands
c iStock, NLshop

Unternehmen wie Google setzen KI bereits für umweltschützende Maßnahmen ein, wie beispielsweise kraftstoffeffiziente Routenplanung mit Google Maps. Universitäten fungieren nicht nur als Vorreiter in der Grundlagenforschung, sondern auch als Ausbilder für talentierte Forschende, die Lösungen für diese Probleme entwickeln. Ein verantwortungsvoller Umgang mit KI und eine differenzierte Betrachtung ihrer Anwendung sind entscheidend, um langfristige Nachhaltigkeit zu gewährleisten.

Ein nachhaltiger Ausblick für die digitale Zukunft

Die Zukunft der europäischen Digitalisierung hängt von unserer Fähigkeit ab, den Energieappetit neuer Technologien zu zügeln und unsere Umwelt zu schützen. Durch innovative Forschung, gezielte Bildung und strategische Partnerschaften können wir die Herausforderungen bewältigen und eine nachhaltige digitale Ära schaffen. Mit einem klaren Fokus auf Effizienz und Nachhaltigkeit können wir sicherstellen, dass unsere digitale Evolution nicht auf Kosten unserer Umwelt geht, sondern aktiv zu ihrem Schutz beiträgt. Es liegt an allen Beteiligten - von Forschenden und Unternehmen bis hin zu politischen Entscheidungsträgern und Verbrauchern -, diese Vision zu verwirklichen und eine nachhaltige digitale Zukunft für Europa und darüber hinaus zu gestalten.

 

Lina Michel, 29.04.2024