Vom Quantenchaos zum Storytelling-Meister

Ein Interviewgespräch mit Bernhard Weingartner
Bernhard Weingartner spricht auf der Bühne
c Science Slam Austria

Er ist diplomierter Physiker, Lehrender und begeisterter Wissensvermittler. Man kennt ihn als Experte bei „Fakt oder Fake“ im ORF und als Organisator der österreichischen Science Slams, einem Kurzvortragsturnier, bei dem Forschungsthemen auf unterhaltsame Weise einem nicht-fachkundigem Publikum vorgetragen werden. Nebenbei bringt er noch am Lastenrad Physik unter die Leute und verfasst populärwissenschaftliche Bücher. Wir haben uns mit Bernhard Weingartner über seine Leidenschaft für Wissenschaftskommunikation und den Einfluss des digitalen Wandels unterhalten und erfahren, wie er sich die Hochschule der Zukunft vorstellt.

Die Science Slams erfreuen sich großer Beliebtheit. Was macht für Sie die gute Präsentation eines Forschungsthemas aus und wie viel Spaß und Klamauk ist dabei erlaubt?

Bei unseren Slams hat man nur sechs Minuten Zeit, um die eigene Forschung auf die Bühne zu bringen. Da lässt sich natürlich nicht ins Detail gehen, aber man kann die zentrale Forschungsfrage formulieren und den methodischen Ansatz skizzieren. Vor allem kann man vermitteln, warum diese Forschung für uns alle relevant ist oder in Zukunft sein könnte. Das darf gerne pointiert und unterhaltsam sein, aber ein Science-Slam-Beitrag stellt nicht den Anspruch auf Stand-up-Comedy. Wenn Klamauk, Verkleidungen und Schmähs helfen, den Inhalt zu vermitteln, dann ist das grandios – sie sollten aber nicht zum Selbstzweck werden.

Sie sind studierter Physiker. Wann und woraus entsprang der Wunsch, Wissenschaftskommunikation zu betreiben und zu fördern?

Meine eigene „Einstiegsdroge“ war das Projekt „VHS Science“, eine Kooperation zwischen Unis und Volkshochschulen in Wien, wo man Abendvorträge über die eigene Forschung an den verschiedensten Standorten hält. Für mich war das ein perfektes Trainingsfeld, um an griffigen Formulierungen, eingängigen Metaphern und sinnvollen Interaktionen zu feilen. Damit kann man ein bunt gemischtes Publikum auch für sperrige Themen wie „Quantenchaos“ oder „granulare Physik“ begeistern. In Großbritannien habe ich dann die Anregung für „Science Busking“ bekommen: Inspiriert durch Straßenkunst geht man in den öffentlichen Raum und macht Wissenschaft anhand einfacher interaktiver Experimente für Passant*innen begreifbar im doppelten Wortsinn. Daraus entstand das Projekt „Physikmobil“, in dem ich mit Studierenden und Kolleg*innen der TU Wien inzwischen in ganz Österreich aktiv bin. Das Format Science Slam habe ich in adaptierter Form von Deutschland nach Österreich importiert.

Welches Potenzial hat der digitale Wandel Ihrer Ansicht nach im Bereich Wissenschaftskommunikation? Welche Vorteile bringt er mit sich? Welche Risiken birgt er?

Soziale Medien bieten vor allem für jene Wissenschaftler*innen, die selbst ihre eigene Forschung authentisch vermitteln wollen, großartige Möglichkeiten. Man ist nicht mehr abhängig von der Verbreitung durch klassische Medien, sondern kann selbstbestimmt und authentisch kommunizieren. Wer die Mechanismen beherrscht, kann dabei eine enorme Reichweite erzielen und sich selbst als Expert*in im eigenen Feld und auch als Influencer*in (im besten Wortsinn) positionieren. Eine in Serbien lebende und arbeitende Kollegin hat z. B. in der Pandemie begonnen, auf TikTok Videos zu physikalischen Themen zu veröffentlichen und ist damit erstaunlich erfolgreich. So eine Exponierung bringt aber natürlich auch Gefahr von Anfeindungen oder sogar Hetze im Netz. Selbstschutz und das Achten auf die eigene Psychohygiene sind daher besonders wichtig.

Welche Kompetenzen sollten Hochschulangehörige mitbringen, um erfolgreich Wissenschaftskommunikation zu betreiben? Gibt es hier Unterschiede zwischen den verschiedenen Akteur*innen an Hochschulen?

Wissenschaftskommunikation sollte aus meiner Sicht von jenen betrieben werden, die das gerne und damit auch gut machen. Zunächst gilt es herauszufinden, welches Format mir persönlich am besten liegt: Schreibe ich lieber Texte oder stelle ich mich gerne auf eine Bühne? Bin ich ein Typ für Podcast-Gespräche oder mach ich lieber Kurzvideos? Dann geht es darum, einfach ins Tun zu kommen und sich parallel dazu Expertise anzueignen und Anregungen zu bekommen. Das können Workshops sein, ein produktiver Austausch mit den Profis an der Hochschule oder auch einfach, indem man die Aktivitäten von Forscher*innen aus dem eigenen Fach, die z. B. auf Social Media bereits erfolgreich aktiv sind, genau analysiert.
Auf institutioneller Ebene ist es wichtig, dass man diese aktiven und engagierten Kolleg*innen identifiziert und dann gezielt pusht, zum Beispiel durch Social Media-Takeover. Und auf politischer Ebene sollte ein Rahmen geschaffen werden, damit Engagement in der Wissenschaftskommunikation für die Karriereentwicklung von jungen Wissenschaftler*innen mehr Relevanz bekommt.

Zum Abschluss: Wie stellen Sie sich die Hochschule der Zukunft vor?

Die Hochschule der Zukunft fokussiert sich auf Forschungsbereiche im Überschneidungsbereich verschiedener Fachdisziplinen – gute interdisziplinäre Kommunikation ist hierfür Voraussetzung. Wissenschaftskommunikation ist selbstverständlicher Teil der Curricula sowie des Arbeitsalltags und Citizen Scientists werden als Partner*innen in den gesamten Forschungsprozess von der Themenfindung über die Durchführung der Forschung bis hin zur Präsentation und Veröffentlichung der Ergebnisse eingebunden.

25.05.2023