Digitalisierung ist nicht (gender)neutral

KI Tools auf Social Media, die Frauen objektifizieren[i], selbstfahrende Autos mit integriertem racial bias[ii] , schlechterer Zugang zu digitaler Infrastruktur bei niedrigem Haushaltseinkommen[iii]: Eine Fülle an Beispielen beweist, dass sich Digitalisierung auf das Leben von Menschen entlang der Ungleichheitsdimensionen Geschlecht, race, Klasse, Sexualität, Dis/Ability sehr unterschiedlich auswirkt. Daher thematisieren die Innsbrucker Gender Lectures im Studienjahr 2022/23 die Verstärkung und Manifestierung von Ungleichheiten im Zuge der digitalen Transformation, aber auch das Potenzial von digitalen Räumen für Empowerment und Aktivismus.

DIe frei zugängliche Vortragsreihe Innsbrucker Gender Lectures, veranstaltet vom Center Interdisziplinäre Geschlechterforschung, betrachtet bereits seit 2009 gesellschaftliche Entwicklungen aus Sicht der interdisziplinären Geschlechterforschung. Die diesjährige Reihe zu Digitalisierung, die von Gundula Ludwig, Silvia Rief, Julia Tschuggnall und Verena Sperk konzipiert wurde, lädt deutschsprachige und internationale Wissenschaftler*innen aus unterschiedlichen Fachbereichen ein, die aufzeigen, dass es sich bei Digitalisierung nicht um einen rein technologischen Prozess ohne gesellschaftliche Zusammenhänge und Auswirkungen handelt. Bestehende gesellschaftliche Ungleichheitsverhältnisse und Problematiken verschieben sich lediglich in den digitalen Raum oder werden durch diese sogar verstärkt.

So bekommt man etwa im Vortrag von Mira Wallis zu hören, wie eng die Gig-Economy mit geschlechtlicher Arbeitsteilung und vergeschlechtlichen Lebensweisen verwoben ist und diese manifestieren statt aufzubrechen. Gig-Economy beschreibt „einen Teil des Arbeitsmarktes, der von zeitlich befristeten Tätigkeiten und Einzelaufträgen gekennzeichnet ist“[iv]. Dazu zählen neben Essenslieferungen und Taxidiensten vor allem ortsungebundene Micro-Tasks wie das Kategorisieren von Bildern oder Macro-Tasks wie virtuelle Assistenztätigkeiten und Programmierarbeiten. Zumeist erfolgt die Vermittlung über digitale Plattformen wie UpWork und Clickwork. Diese werben offen mit der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Sorgearbeit (Kinderbetreuung, Haushaltsarbeiten, Versorgung pflegebedürftiger Personen) sowie erhöhter Autonomie. Dabei handelt es sich zumeist um prekäre Arbeitsverhältnisse, die durch die zumeist in Heimarbeit durchgeführten Arbeiten die Grenzen zwischen Erwerbs- und Sorgearbeit verschwimmen lassen. Zudem zeigt sich, dass Menschen, darunter viele Frauen mit Betreuungspflichten, vor allem dann diese eigentlich unsicheren Arbeitsverhältnisse eingehen, wenn sie wenig Vertrauen in den Sozialstaat und die Altersvorsorge haben oder einen schlechteren Verdienst in ihrem regulären Job. Eine Aufteilung der Sorgearbeit und damit ein Aufbrechen traditioneller Geschlechterrollen findet jedoch nicht statt.

Ein Schreibtisch an dem zwei Menschen zusammensitzen und arbeiten.
c ergonofis, unsplash

Nicht außer Acht lassen sollte man trotz Kritik jedoch die Chancen durch Digitalisierung für Community defense und Aktivismus, wie aus dem Vortrag von Lisa Nakamura hervorgeht. Zwar bergen Videokonferenzen und Gaming-Plattformen die Gefahr von rassistischen und sexistischen Übergriffen, aber eben auch die Möglichkeit, sich gegen diese zu wehren. So teilten etwa Gamer*innen bereits vor mehr als einem Jahrzehnt ihre Erfahrungen mit Sexismus auf Videospielplattformen auf der humoristischen Website fatuglyorslutty.com (mittlerweile nicht mehr aktiv). Ebenso bietet das Festhalten per Video eine Möglichkeit der Beweisführung bei rassistischen Übergriffen und Anschuldigungen gegen oder Kriminalisierung von People of Color.

Diese und weitere Einsichten aus der interdisziplinären Geschlechterforschung können interessierte Hörer*innen jederzeit in der Radiothek des Radio Freirad und auf Spotify nachhören. Die Gender Lectures bereichern somit nicht nur die bisher geführte Debatte über Digitalisierung, sondern betreiben über diesen niederschwelligen Zugang auch ausgezeichnete Wissenschaftskommunikation. In Zeiten, in denen eine immer größere Anzahl von Menschen unbekümmert KI und digitale Tools nutzt, ist es umso wichtiger, über deren Gefahren und Potentiale aufzuklären. Nur wenn ein entsprechendes Bewusstsein herrscht, können digitale Transformationsprozesse in Zukunft inklusiv und frei von rassistischen und sexistischen Logiken gestaltet werden. So wird die Digitalisierung nicht mehr zum Fluch für manche, sondern zum Segen für alle.

23.03.2023

Tipp!

Die nächste Gender Lecture zum Thema "Dissonante Öffentlichkeiten: Digital vernetzte Medien und rechte Akteur*innen." findet am 28. März statt. Infos zu diesem und allen weiteren Terminen finden sie auf der Website des Center Interdisziplinäre Geschlechterforschung Innsbruck.